Neuigkeiten - Recht

Unzulässige Vorratskündigung: Ignorierte baurechtliche Voraussetzung bringt Eigenbedarfskündigung zu Fall

Wenn ein Vermieter selbst in seine Mietwohnung einziehen möchte, spricht er häufig eine Eigenbedarfskündigung aus. Da jedoch mit Rechten gleichsam Pflichten einhergehen, sollten kündigende Eigentümer auch gut vorbereitet sein, sobald sie eine derartige Kündigung aussprechen. Denn Gerichte wie das Amtsgericht Hamburg (AG) kennen bei drohendem Verlust des Wohnraums keinerlei Nachsicht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen auf wackligen Füßen stehen.

Wenn ein Vermieter selbst in seine Mietwohnung einziehen möchte, spricht er häufig eine Eigenbedarfskündigung aus. Da jedoch mit Rechten gleichsam Pflichten einhergehen, sollten kündigende Eigentümer auch gut vorbereitet sein, sobald sie eine derartige Kündigung aussprechen. Denn Gerichte wie das Amtsgericht Hamburg (AG) kennen bei drohendem Verlust des Wohnraums keinerlei Nachsicht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen auf wackligen Füßen stehen.

Das Mietverhältnis einer Mieterin wurde wegen Eigenbedarfs gekündigt. Einer der Vermieter wollte das gesamte Haus mit den drei dort vorhandenen Wohnungen künftig mit seiner Familie - mit seiner Frau und den drei Kindern - als Einfamilienhaus nutzen. Dafür sollten die Wohnungseingangstüren entfernt und die Badezimmertüren wieder eingesetzt werden, so dass letztendlich der ursprüngliche Zustand des Gebäudes wiederhergestellt werden würde, das einst als Einfamilienhaus konstruiert worden war. Eine Baugenehmigung wurde nicht beantragt, da diese laut Meinung des Eigentümers auch nicht erforderlich gewesen sei. Schließlich bedürfe es ja keiner statischen Eingriffe. Und so erhob der Vermieter eine Räumungsklage. Doch die Mieterin widersprach der Kündigung und verlangte die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit.

Das AG war auf der Seite der Mieterin. Eine Baugenehmigung wäre nämlich durchaus erforderlich gewesen. Da diese noch nicht einmal beantragt worden war, handelte es sich demnach auch um eine unzulässige Vorratskündigung. Zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung war noch nicht einmal beabsichtigt gewesen, die Baugenehmigung einzuholen. Ein Vermieter darf jedoch erst dann kündigen, wenn seine Planung ein Stadium erreicht hat, in dem beurteilt werden kann, ob die Verwirklichung des Plans eine Kündigung rechtfertigt.

Hinweis: Der Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung heißt noch lange nicht, dass Mieter das Mietobjekt räumen müssen. Zieht der Mieter nicht aus, hat der Vermieter zunächst eine Räumungsklage zu erheben. Und ob er die gewinnt, entscheidet schließlich das Gericht.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 26.10.2023 - 49 C 294/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Arbeitszeitbetrug: Vertragswidrige Vernachlässigung der Arbeitspflicht zieht Kündigung nach sich

Wie wenig Arbeitsleistung ist ausreichend genug, um nicht gekündigt zu werden? Die Angestellten, die hier gegen ihre Kündigung vor das Arbeitsgericht Bremen (ArbG) zogen, waren sich offensichtlich keiner Schuld bewusst. Wohl gaben sie zu, zwar nicht gut "performt", dabei aber nicht wirklich ihren Arbeitgeber betrogen zu haben. Schützt ein solches Zugeständnis schlechter Leistung etwa vor Kündigung?

Wie wenig Arbeitsleistung ist ausreichend genug, um nicht gekündigt zu werden? Die Angestellten, die hier gegen ihre Kündigung vor das Arbeitsgericht Bremen (ArbG) zogen, waren sich offensichtlich keiner Schuld bewusst. Wohl gaben sie zu, zwar nicht gut "performt", dabei aber nicht wirklich ihren Arbeitgeber betrogen zu haben. Schützt ein solches Zugeständnis schlechter Leistung etwa vor Kündigung?

Den zwei Beschäftigten des Bürgertelefons warf ihr Arbeitgeber vor, in der Zeit von März bis Mai 2023 Telefonanrufe nur in besonders geringem Maß entgegengenommen zu haben. Der Arbeitgeber kündigte den beiden Beschäftigten fristlos wegen eines Arbeitszeitbetrugs. Gegen die Kündigung legten die beiden Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein und beriefen sich auf eine Schlechtleistung: Sie hätten allenfalls unterdurchschnittliche Leistungen erbracht. Einen Arbeitszeitbetrug wollen sie nicht begangen haben.

Das sah das ArbG allerdings anders und hielt die fristlosen Kündigungen für wirksam. Das begründete das Gericht damit, dass die Beschäftigten ihren Telefondienst in einem Umfang geleistet hatten, der auf eine vorsätzliche vertragswidrige Vernachlässigung der Arbeitspflicht schließen ließ. Diese sei durch eine bloße Minderleistung nicht erklärbar. Das Gericht legte konkret dar, dass Telefonzeiten im Umfang von 60 % der dienstplanmäßigen Arbeitszeit an einem Tag veranschlagt gewesen seien. Die Beschäftigten hätten an den überprüften Tagen nur 30 % bis 35 % bzw. zwischen 16 % und 33 % der Zeit telefoniert.

Hinweis: Das ArbG räumte ein, dass die Auswertung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle von Beschäftigten untersagt ist. Hier jedoch hatte der Personalrat der Auswertung allerdings zuvor zugestimmt. Das Gericht entschied nicht darüber, ob die Daten rechtswidrig gewonnen waren oder nicht. Es berief sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der Daten, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen, selbst dann verwertbar sind, wenn die Gewinnung der Daten nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.


Quelle: ArbG Bremen, Urt. v. 14.12.2023 - 2 Ca 2206/23 und 2 Ca 2207/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Entlastung der Mutter: Piloten wird trotz unflexibler Freizeitregelung durch Arbeitgeber vermehrter Kindesumgang zugemutet

Während in Umgangsverfahren meist der eine Elternteil weniger Umgang der Kinder mit dem anderen verlangt, verklagte vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) eine Mutter den Vater des gemeinsamen Kindes darauf, dass er sich mehr um seine Kinder kümmern solle. Das OLG musste nun sehen, ob und wie ein umfangreicherer Umgang im Interesse aller - vor allem aber naturgemäß dem der Kinder - möglich ist. Das Amtsgericht Fürth (AG) legte dabei vor.

Während in Umgangsverfahren meist der eine Elternteil weniger Umgang der Kinder mit dem anderen verlangt, verklagte vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) eine Mutter den Vater des gemeinsamen Kindes darauf, dass er sich mehr um seine Kinder kümmern solle. Das OLG musste nun sehen, ob und wie ein umfangreicherer Umgang im Interesse aller - vor allem aber naturgemäß dem der Kinder - möglich ist. Das Amtsgericht Fürth (AG) legte dabei vor.

Der Vater war Pilot mit einer Vollzeitstelle, die Mutter Flugbegleiterin mit einer 2/3-Stelle. Wegen der flexiblen Arbeitszeiten beider wurde im notariellen Scheidungsfolgenvertrag nur vermerkt, dass der Vater "nach Absprache" 1/3 der Betreuungszeiten übernehmen solle. Beide Elternhäuser waren in Fürth, die Kinder konnten vom Vater aus sogar morgens zur Schule gehen. Für die Mutter zeigte sich die Flexibilität jedoch zunehmend als unpraktikabel, da die Absprachen nicht mehr funktionieren würden - sie beantragte daher sechs Jahre später beim Familiengericht, dass die Kinder 14-tägig im Zeitraum von Donnerstag nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn und zudem an zwei Tagen nach flexibler Absprache beim Vater sein sollen. Der Vater argumentierte damit, dass er im Gegensatz zur teilzeitarbeitenden Mutter in Vollzeit arbeite. Deshalb sei es ihr zuzumuten, dass sie sich voll und ganz nach seinen Bedürfnissen richte, die keine feste Regelung zuließen. Er könne lediglich einmal im Monat drei zusammenhängende Tage freinehmen. Mehr - zweimal im Monat fünf Tage am Stück - habe der Arbeitgeber abgelehnt. Eine Fremdbetreuung der Kinder während der Umgangszeiten sei in den Augen des Vaters widersinnig.

Das AG hatte den Umgang mit dem Vater daraufhin derart geregelt, dass dieser 14-tägig donnerstags nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn stattfindet. In der anschließenden Anhörung vor dem OLG erzählten die Kinder, dass die Umgangswochenenden seit dem amtsgerichtlichen Beschluss auch so durchgeführt worden seien. Zwar sei ihr Vater dann nicht immer durchgehend zu Hause, dies sei jedoch unproblematisch. Sie hätten ein gutes Verhältnis zur Stiefmutter und zu deren Tochter.

Daher bestätigte das OLG die Entscheidung des AG und stellte darauf ab, dass Umgangskontakte nicht nur die Funktion haben, die Vater-Kind-Bindung zu fördern, sondern auch, die berufstätige Mutter zu entlasten und die tatsächliche Betreuung der Kinder in einem zu bestimmenden Umfang aufzuteilen. Auch die Mutter müsse ja gelegentlich Fremdbetreuung in Anspruch nehmen und diese organisieren. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Kinder sich im väterlichen Haushalt auch dann wohlfühlten, wenn dieser gar nicht zuhause war.

Hinweis: Wenn ein Gericht den Umgang regelt, muss der Beschluss auch vollstreckbar sein. Deshalb kann es flexible Lösungen nur geben, wenn die Eltern sich darüber einig sind.


Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.01.2024 - 9 UF 744/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Unwissenheit schützt nicht: Unterhaltsschulden können lange vollstreckt werden

Wer nicht rechtzeitig etwas sagt, der kriegt auch nichts! So zusammengefasst verhält es sich oftmals, wenn Ansprüche verjährt sind. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Bremen (OLG) klären, ob es bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen einen für eine solche Verwirkung erforderlichen Zeitmoment gibt. Sprich: Erledigen sich Ansprüche aus einem derartigen Titel, wenn der Gläubiger sie nicht einfordert - und wenn ja, ab wann?

Wer nicht rechtzeitig etwas sagt, der kriegt auch nichts! So zusammengefasst verhält es sich oftmals, wenn Ansprüche verjährt sind. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Bremen (OLG) klären, ob es bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen einen für eine solche Verwirkung erforderlichen Zeitmoment gibt. Sprich: Erledigen sich Ansprüche aus einem derartigen Titel, wenn der Gläubiger sie nicht einfordert - und wenn ja, ab wann?

Ein Vater war vom Familiengericht zu Kindesunterhalt für seinen minderjährigen Sohn verurteilt worden, zahlte aber nicht. Die Unterhaltsvorschusskasse (Jugendamt) ging daher in Vorleistung und holte sich das Geld beim Vater zurück. Doch zwischem dem, was die Unterhaltsvorschusskasse zahlte, und dem, was der Vater hätte zahlen müssen, klaffte eine monatliche Lücke - und summierte sich schließlich zu einem Schuldenberg von über 3.000 EUR. Dann wurde der Sohn volljährig und vollstreckte gegen seinen Vater.

Vor dem OLG ging es nun um die Frage, ob der Anspruch verwirkt worden war, da jahrelang niemand die Differenz explizit eingefordert hatte. Ein solcher Verwirkungseinwand setzt voraus, dass mindestens mehr als ein Jahr nichts verlangt wurde (Zeitmoment) und dass der Unterhaltsschuldner sich darauf einrichten durfte, dass der Unterhaltsgläubiger sein Recht nicht mehr durchsetzen werde (Umstandsmoment). Aus bloßer Untätigkeit des Gläubigers entstehen solche besonderen Umstände jedenfalls nicht. Der Vater trug dazu vor, er habe nach Einschaltung der Unterhaltsvorschusskasse geglaubt, er müsse nur den geringen Betrag an die Kasse zahlen, nicht mehr den höheren an den Sohn. Das mag er wirklich geglaubt haben - aber Unkenntnis schützt bekanntlich nicht vor Rechtsfolgen. Solange ein Titel "in der Welt" ist, gilt dieser, und eigene Gedanken dazu, ob dieser überhaupt noch gelten möge, sind fehl am Platz. Andere Umstände, aus denen er hätte schließen können, sein Sohn bzw. dessen Mutter verzichte auf die Differenz, gab es für das OLG in nachvollziehbarer Weise nicht.

Hinweis: Die Differenz zwischen tituliertem Unterhalt und der Leistung der Unterhaltsvorschusskasse liegt daran, dass die Unterhaltsvorschusskasse nur den Mindestunterhalt leistet und davon noch das gesamte Kindergeld abzieht.


Quelle: OLG Bremen, Beschl. v. 14.12.2023 - 5 UF 36/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Mehr als 1.600 EUR: Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen

Die Frage nach Angemessenheit und Notwendigkeit stellt sich vor Gericht besonders oft, wenn es um Unterhaltsforderungen geht. Aus diesem Grund gibt es die Düsseldorfer Tabelle (DT), die seit 1962 als Leitlinie bei Unterhaltsfragen gilt. Seitdem wird sie stetig an die sich verändernden Lebensumstände angepasst, so auch hinsichtlich der Einkommensgruppen. Dieser Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) zu einem sehr solventen, unterhaltspflichtigen Vater landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und wird in einer Frage auch wieder ans OLG zurückgehen.

Die Frage nach Angemessenheit und Notwendigkeit stellt sich vor Gericht besonders oft, wenn es um Unterhaltsforderungen geht. Aus diesem Grund gibt es die Düsseldorfer Tabelle (DT), die seit 1962 als Leitlinie bei Unterhaltsfragen gilt. Seitdem wird sie stetig an die sich verändernden Lebensumstände angepasst, so auch hinsichtlich der Einkommensgruppen. Dieser Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) zu einem sehr solventen, unterhaltspflichtigen Vater landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und wird in einer Frage auch wieder ans OLG zurückgehen.

Die Mutter einer 2011 geborenen Tochter aus geschiedener Ehe hatte im Jahr 2019 einen monatlichen Kindesunterhalt von 4.500 EUR beantragt. Ihr Bedarf sei exklusiv: Die hohen Wohnkosten, der Reitsport des Kindes, Kleidung und Urlaube -  all das hielt sie für angemessen. Der Vater hatte sich zudem als "unbegrenzt leistungsfähig" erklärt, sein offensichtlich über 11.000 EUR liegendes Nettoeinkommen wurde dabei aber nicht näher thematisiert. 2018 hatte der Vater den damaligen Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle von 160 % des Mindestunterhalts anerkannt. 2020 hatte der BGH dann in einem anderen Fall entschieden, dass man die Tabelle rechnerisch nach oben ergänzen könne, wenn der Unterhaltspflichtige über mehr als 5.500 EUR bereinigtes Nettoeinkommen verfüge. Daraufhin erkannte der Vater 2021 im Verfahren 272 % des Mindestunterhalts an - einen Betrag, den es in der DT 2021 zwar nicht gab, den man sich aber durch Fortschreibung selbst errechnen konnte. 2022 war die DT schließlich um Einkommensgruppen bis 11.000 EUR erweitert worden, was 200 % des Mindestunterhalts entsprach. Daraufhin nahm der Vater sein Anerkenntnis zurück und wollte "nur noch" den neuen "Höchstsatz" von 200 % zahlen. Die Reitsportkosten wolle er sowieso nicht mittragen, da die Mutter allein über das teure, gefährliche und zeitraubende Hobby entschieden habe, obwohl er gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht innehabe.

Das OLG hatte den Einwand des Vaters für zutreffend gehalten, dass er als Sorgeberechtigter hätte mitentscheiden müssen, ob das Kind ein gefährliches und teures Hobby betreiben dürfe. Deshalb legte das OLG ihm die Reitsportkosten nicht zusätzlich auf. Anders sah dies jedoch der BGH: Zwar könne man es so sehen, dass Entscheidungen wie ein teures Hobby bei gemeinsamem Sorgerecht gemeinsam getroffen werden müssen. Jedoch habe der Vater sich in seinen Schriftsätzen gar nicht gegen das Reiten als solches, sondern nur gegen die Intensität und die Kosten ausgesprochen. Das sei als stillschweigendes Zustimmen "dem Grunde nach" zu werten. Außerdem könne es sein, dass das Kind vom Reitsport so stark profitiere, dass die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich sei. Im Ergebnis befand der BGH, dass die Kleidung, Wohnen und Urlaube mit den 272 % vom Mindestunterhalt bezahlt werden können, und gab das Verfahren zwecks Aufklärung beim Mehrbedarf "Reitsport" zurück ans OLG.

Hinweis: 272 % des Mindestunterhalts für ein 2011 geborenes Kind betragen im Jahr 2024 monatlich 1.629,40 EUR.


Quelle: BGH, Beschl. v. 20.09.2023 - XII ZB 177/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Beweislose Behauptung: Wer als Arbeitsgeber Leistungsverweigerung im Homeoffice beklagt, muss dies belegen können

Seit der Corona-Pandemie ist das Thema Homeoffice in aller Munde. Doch was passiert, wenn das Homeoffice zu spürbarem Leistungsabfall führt, so wie es viele Arbeitgeber bereits befürchtet hatten? Im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LAG) ist die Sache klar: Eine Behauptung muss nach wie vor zuerst bewiesen werden, bevor auf deren Basis Konsequenzen folgen.

Seit der Corona-Pandemie ist das Thema Homeoffice in aller Munde. Doch was passiert, wenn das Homeoffice zu spürbarem Leistungsabfall führt, so wie es viele Arbeitgeber bereits befürchtet hatten? Im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LAG) ist die Sache klar: Eine Behauptung muss nach wie vor zuerst bewiesen werden, bevor auf deren Basis Konsequenzen folgen.

Eine seit Ende 2021 in einer Pflegeeinrichtung beschäftigte Arbeitnehmerin sollte das Qualitätshandbuch und andere für das Pflegemanagement erforderliche Unterlagen überarbeiten. Laut Arbeitszeiterfassung verbrachte die Beschäftigte von insgesamt 720 Arbeitsstunden ganze 300 Stunden im Homeoffice. Im Anschluss erkrankte sie für einen längeren Zeitraum. Der Arbeitgeber kündigte ihr deshalb noch während der Probezeit. Für die letzten beiden Monate zahlte er der Mitarbeiterin nichts mehr und verlangte sogar die Rückzahlung von etwa 7.000 EUR brutto für die 300 Arbeitsstunden im Homeoffice. Er erklärte die Aufrechnung gegen die noch offenen Gehaltsansprüche. Seine Begründung: Der Mitarbeiterin stehe keine Vergütung für die Homeofficestunden zu. Schließlich habe sie hierzu keine objektivierbaren Nachweise vorgelegt. Die Arbeitnehmerin klage daraufhin das Geld ein.

Das LAG war der Auffassung, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Vergütung nachzuzahlen und keinen Anspruch auf eine Rückzahlung hat. Die Arbeitnehmerin hatte während der Arbeit im Homeoffice zumindest teilweise gearbeitet. Das ergab sich aus diversen E-Mails, in denen sie überarbeitete Verfahrensanweisungen an ihre Kollegen geschickt hatte. Hinzu kam, dass der Arbeitgeber nach Ansicht des Gerichts nur pauschal in den Raum gestellt hatte, dass die Arbeitnehmerin im Homeoffice nicht gearbeitet habe - einen entsprechenden Beweis konnte er nicht erbringen.

Hinweis: Dass die Beschäftigte eventuell zu langsam gearbeitet hatte, spielte hier keine Rolle. Denn Arbeitnehmer sind grundsätzlich nur verpflichtet, unter angemessener Ausschöpfung ihrer Leistungsfähigkeit zu arbeiten.


Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 28.09.2023 - 5 Sa 15/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Volljährige Tochter: Kein Unterhalt, wenn zweite Ausbildung Resultat einer beruflichen Umorientierung ist

Eltern schulden ihren volljährigen Kindern Unterhalt während einer Ausbildung. Zu Konflikten kommt es, wenn das Kind mit seinem ersten Abschluss nicht zufrieden ist und für eine weitere Ausbildung weiterhin Unterhalt verlangt. Im Fall vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) war daher zu prüfen, ob es sich um eine einheitliche Ausbildung handelt, für deren letztlich angestrebte Qualifikation der erste Abschluss ein sinnvoller Zwischenschritt war, oder um zwei voneinander unabhängige Ausbildungen.

Eltern schulden ihren volljährigen Kindern Unterhalt während einer Ausbildung. Zu Konflikten kommt es, wenn das Kind mit seinem ersten Abschluss nicht zufrieden ist und für eine weitere Ausbildung weiterhin Unterhalt verlangt. Im Fall vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) war daher zu prüfen, ob es sich um eine einheitliche Ausbildung handelt, für deren letztlich angestrebte Qualifikation der erste Abschluss ein sinnvoller Zwischenschritt war, oder um zwei voneinander unabhängige Ausbildungen.

Hier hatte die Tochter nach dem Realschulabschluss 2018 eine kaufmännische Ausbildung absolviert, mit deren Abschluss sie automatisch ihr Fachabitur im Bereich Wirtschaft erlangte. Im Anschluss verbrachte sie zur Erweiterung ihrer Sprachkenntnisse einen dreimonatigen Sprachurlaub in Spanien. Nach ihrer Rückkehr meldete sie sich im Oktober 2021 zunächst arbeitssuchend, woraufhin sie über das Jobcenter den Hinweis auf die Möglichkeit erhielt, mit ihrem Abschluss Mediendesign zu studieren. Zum 01.01.2022 begann sie dieses Studium. Da ihre Mutter zu wenig verdiente, um ihr Unterhalt zu leisten, verklagte sie ihren Vater.

Das begonnene Studium ist auch in den Augen des OLG eine Zweitausbildung und keine fachliche Ergänzung. Daher bestand kein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gegenüber ihren Eltern. Im Unterschied zu Abiturienten, bei denen Eltern immer mit einem Studienwunsch nach der Lehre rechnen müssen, sei dies nach dem Realschulabschluss so, dass die Eltern frühzeitig - schon vor der Ausbildung - vorgewarnt werden müssten, dass sie sich auf einen längeren Ausbildungsweg einstellen müssen. Zudem müsse ihnen dieser auch wirtschaftlich zumutbar sein. Dabei habe das Kind keine beliebige Studienauswahl, sondern müsse einen engen sachlichen Zusammenhang darlegen. Hier reiche es nicht aus, dass das kaufmännische Wissen und die Fremdsprachenkompetenz "nützlich" für das Studium oder den späteren Beruf als Mediendesignerin seien. Solche Kenntnisse seien grundsätzlich für jeden Beruf nützlich, was eine solche Ausbildung aber nicht zu einem unterhaltsrechtlichen Freibrief für jedwedes anschließende Studium mache. Auf die Gerichte wirkte der Ausbildungsweg der Tochter eher so, als ob sie sich nach der Arbeitslosigkeit und Beratung durch das Jobcenter umorientiert habe - diese durchaus legitime Entscheidung beinhalte jedoch kein Recht auf weiteren Unterhalt.

Hinweis: Für die Entscheidung wird bei der Abwägung eine Rolle gespielt haben, dass die Studentin Bafög bekam und der Unterhaltsanspruch daher nicht existentiell von Bedeutung war, während der Vater mit knapp 2.500 EUR netto kein wohlhabender Mann war. Der Tochter wäre anzuraten gewesen, ihr Vorhaben direkt nach dem Schulabschluss nachweislich mit dem Vater abzusprechen, damit dieser in der Zeit, in der er ihr wegen des Ausbildungsentgelts keinen Unterhalt zahlen musste, Rücklagen hätte bilden können.


Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.12.2023 - 3 UF 127/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Lebenslanger Unterhalt: 14-jährige Ehedauer erzeugt auch im Alter nacheheliche Verantwortung

Eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens ist die begründete Mitverantwortung, die der leistungsfähige Ehepartner gegenüber dem Unterhaltsbedürftigen trägt. Dieser Mitverantwortung kann man sich im Sinne der nachehelichen Solidarität nicht entziehen. Daher erging es der bessergestellten Frau im folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) nicht anders als vielen Männern zuvor.

Eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens ist die begründete Mitverantwortung, die der leistungsfähige Ehepartner gegenüber dem Unterhaltsbedürftigen trägt. Dieser Mitverantwortung kann man sich im Sinne der nachehelichen Solidarität nicht entziehen. Daher erging es der bessergestellten Frau im folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) nicht anders als vielen Männern zuvor.

Als die Eheleute 2007 heirateten, waren beide schon über 50 Jahre alt. Sie war Beamtin, er selbständig und ab 2013 insolvent, so dass die Frau bei der Scheidung 2023 durch den Versorgungsausgleich einen Teil ihrer Pension an den Mann verlor. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Eheleute schon in Pension bzw. in Rente. Nun begehrte der Mann zusätzlich einen lebenslangen Unterhalt von rund 1.300 EUR monatlich. Das Familiengericht Olpe lehnte diesen Antrag ab: Der Mann habe bereits durch den Versorgungsausgleich alle ehebedingten Nachteile ersetzt bekommen.

Anders sah dies das OLG - es sprach dem Mann den sogenannten Altersunterhalt nach § 1571 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der beantragten Höhe zu. Mit Erreichen des Rentenalters müsse er nicht mehr arbeiten, auch wenn das bei Selbständigen oft üblich sei. Auf seine konkrete gesundheitliche Situation, die streitig war, kam es daher nicht an. Auch eine Antwort auf die Frage, ob ehebedingte Nachteile entstanden seien, sei hier unwichtig, da der Altersunterhalt davon unabhängig sei. Zudem sei dem Mann auch nicht vorwerfbar, dass er keine eigene Altersvorsorge betrieben habe. Dieses Verhalten habe der Mann bereits vor der Ehe an den Tag gelegt - dieser Umstand war der Frau nach Aktenlage auch bekannt. Jedenfalls wurde von ihr nicht vorgetragen, dass der Mann ihr vorgegaukelt habe, eine Altersversorgung zu besitzen.

Eine Frage, die durchaus noch von Interesse war, bezog sich auf das Alter der beiden bei Eheschließung: War der § 1571 BGB womöglich deshalb nicht anwendbar, weil der Mann nicht im Laufe der Ehe alt geworden war, sondern erst mit über 50 geheiratet hatte? Nein - so das OLG -, auch das sei unerheblich und käme ebenso wenig infrage wie eine Befristung. Eine Befristung des Altersunterhalts ist auch ohne ehebedingte Nachteile nicht der gesetzliche Regelfall. Durch die Ehedauer von rund 14 Jahren und die Insolvenz des Mannes sei eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Frau entstanden, die eine nacheheliche Solidarität erzeugt habe. In seinem jetzigen Alter sei ihm eine Absenkung des gewohnten gehobenen Lebensstandards nicht zuzumuten, daher wurde der Anspruch auch nicht in der Höhe begrenzt.

Hinweis: Allerdings wendete das OLG die Regel an, dass mit Erreichen des Rentenalters auch vorhandenes Kapital zu verzehren ist - das waren hier 65.000 EUR aus einem Hausverkauf. Unstreitig war das Haus nämlich als "Altersvorsorge" gedacht gewesen.


Quelle: OLG Hamm. Beschl. v. 21.12.2023 - 4 UF 36/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Bloßstellung, Erniedrigung, Demütigung: Unternehmensinterne Weiterleitung intimer Abbildungen von Kollegen kann teuer werden

Mit Kollegen verhält es sich wie mit Nachbarn - man kann sie sich nicht aussuchen und ist doch fast täglich mit ihnen befasst. Doch Vorsicht vor unüberlegtem Handeln, vor allem, wenn es das Gegenüber am Schreibtisch in seiner Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten verletzt. Denn sonst kann einen das teuer zu stehen kommen, wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (LAG).

Mit Kollegen verhält es sich wie mit Nachbarn - man kann sie sich nicht aussuchen und ist doch fast täglich mit ihnen befasst. Doch Vorsicht vor unüberlegtem Handeln, vor allem, wenn es das Gegenüber am Schreibtisch in seiner Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten verletzt. Denn sonst kann einen das teuer zu stehen kommen, wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (LAG).

Ein kaufmännischer Angestellter teilte sich das Büro mit einer Kollegin. Nachdem es zu Streitigkeiten zwischen den beiden gekommen war, leitete die Arbeitnehmerin intime Fotos ihres Arbeitskollegen an eine andere Kollegin weiter - genauer gesagt Video-Screenshots mit erotischem oder teilweise pornografischem Inhalt. Die Bilder hatte die Beschäftigte über eine Facebook-Gruppe erhalten, in der sie und ihr Kollege Mitglieder waren. Der Arbeitnehmer wollte das verständlicherweise nicht hinnehmen, zog gegen seine Kollegin vor das Arbeitsgericht und verlangte Schadensersatz.

Das LAG sprach dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch von 3.000 EUR zu. Durch das Weiterleiten intimer, erotischer oder sogar pornografischer Fotos an Kollegen oder Dritte ohne Zustimmung der abgebildeten Person wird deren Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Gericht stellte klar, dass sich der Entschädigungsanspruch aus dem Grundrecht auf Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten ergebe. Das Gericht wies in seiner Entscheidung zudem darauf hin, dass ein hierauf gestützter Entschädigungsanspruch einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht voraussetze. Es komme auch nicht darauf an, wann ein solcher gegeben sei und wann nicht, sondern vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung im jeweiligen Einzelfall. Hier hielt das Gericht den Anspruch für gegeben und bestätigte vor allem den bloßstellenden, erniedrigenden und demütigenden Charakter der Übersendung der Fotos zu Lasten des Arbeitnehmers.

Hinweis: Ein derartiges Verhalten kann übrigens auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Der Arbeitgeber kann hier durchaus eine fristlose Kündigung in Betracht ziehen.


Quelle: LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.08.2023 - 8 Sa 332/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)

Darlegungs- und Beweislast: Wenn Kündigungsfrist und Arbeitsunfähigkeit zusammenfallen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits vor Längerem entschieden, dass das Zusammenfallen einer Kündigung mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründet. Nun gibt es dazu einen neuen Fall, in dem der Arbeitnehmer bereits vor Zugang der Kündigung erkrankt war.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits vor Längerem entschieden, dass das Zusammenfallen einer Kündigung mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründet. Nun gibt es dazu einen neuen Fall, in dem der Arbeitnehmer bereits vor Zugang der Kündigung erkrankt war.

Ein Arbeitnehmer war als Helfer beschäftigt. Am 02.05.2022 legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 06.05.2022 vor. Mit Schreiben vom 02.05.2022, das dem Arbeitnehmer am 03.05.2022 zuging, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2022. Der Arbeitnehmer legte daraufhin Folgebescheinigungen vom 06.05.2022 bis zum 31.05.2022 vor. Ab dem 01.06.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und nahm direkt eine neue Beschäftigung auf. Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Der Arbeitnehmer erwiderte, die Arbeitsunfähigkeit habe bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden. Während das zunächst zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) dem Arbeitnehmer Recht gab, sah es das BAG anders.

Das LAG habe zwar richtigerweise erkannt, dass der Beweiswert der ersten Krankschreibung nicht erschüttert ist, weil kein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung gegeben sei. Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 06.05.2022 sei der Beweiswert dagegen erschüttert. Es bestünde nämlich gerade der zeitliche Zusammenhang - und zwar aufgrund der passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer habe zudem unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen.

Hinweis: Die Entscheidung des BAG hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer nunmehr für die Zeit vom 07.05. bis zum 31.05.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt. Der elektronische "gelbe Schein" reicht nicht mehr aus.


Quelle: BAG, Urt. v. 13.12.2023 - 5 AZR 137/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 03/2024)