Neuigkeiten - Recht

Präventionsverfahren: Neuer Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Probezeit

Bislang griff der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer erst, wenn das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate bestand. Doch das könnte nun nicht mehr ohne weiteres gelten. Denn das Arbeitsgericht Köln (ArbG) ist mit folgendem Urteil einen neuen Weg gegangen, den das europäische Recht eröffnet hat.

Bislang griff der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer erst, wenn das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate bestand. Doch das könnte nun nicht mehr ohne weiteres gelten. Denn das Arbeitsgericht Köln (ArbG) ist mit folgendem Urteil einen neuen Weg gegangen, den das europäische Recht eröffnet hat.

Ein öffentlicher Arbeitgeber hatte einen schwerbehinderten Arbeitnehmer für seinen Bauhof eingestellt und dort in vier verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Im sechsten Beschäftigungsmonat kündigte ihm der Arbeitgeber. Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung. Er meinte, der Arbeitgeber hätte ihn in einem Bereich einsetzen müssen, in dem er gut zurechtgekommen sei.

Das sah das ArbG ähnlich. Der Arbeitgeber hätte zuvor ein Präventionsverfahren durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Menschen gefährdet ist. In einem solchen Verfahren erörtert der Arbeitgeber mit dem Integrations- bzw. Inklusionsamt sowie dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung, wie das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden kann (§ 167 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist ein Präventionsverfahren während der ersten sechs Beschäftigungsmonate nicht erforderlich (BAG, Urt. v. 21.04.2016 - 8 AZR 402/14). Dem widerspricht das ArbG nun: Das Gesetz regle diesen Punkt nicht. Laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) sei es aber geboten, das Präventionsverfahren bei Bedarf auch schon während der Probezeit durchzuführen (EuGH, Urt. v. 10.02.2022 - C-485/20). Weil der Arbeitgeber kein Präventionsverfahren durchgeführt hatte, sei die Kündigung in der hier behandelten Sache auch unwirksam. Erst, wenn er das Präventionsverfahren ordnungsgemäß begonnen hätte und es während der ersten sechs Beschäftigungsmonate nicht hätte abgeschlossen werden können, wäre eine Probezeitkündigung möglich gewesen.

Hinweis: Falls Arbeitgeber nun auf die Idee kommen, nur für schwerbehinderte Menschen Probezeitbefristungen anzubieten, wird das gefährlich. Ein solcher Arbeitsvertrag würde mit Ende der Probezeit automatisch enden. Und Vorsicht: Befristete Probearbeitsverträge nur auf schwerbehinderte Bewerber zu beschränken, würde eine unzulässige Benachteiligung schwerbehinderter Menschen bedeuten.


Quelle: ArbG Köln, Urt. v. 20.12.2023 - 18 Ca 3954/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Rentenvertrag gekündigt: Billigkeitsprüfung beim Versorgungsausgleich nach Ausübung des Kapitalwahlrechts

Erst vereinbaren die Eheleute notarvertraglich Gütertrennung, dann trennen sie sich. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG). Denn dass sich der Mann kurz vor seiner Einreichung der Scheidung zwei private Rentenverträge auszahlen ließ, nachdem er vom diesbezüglichen Kapitalwahlrecht Gebrauch gemacht hatte, stieß seiner Ehefrau bitter auf. Daher landete die Sache auch zuerst vor dem Familiengericht (FamG) und schließlich vor dem OLG.

Erst vereinbaren die Eheleute notarvertraglich Gütertrennung, dann trennen sie sich. So war es im Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG). Denn dass sich der Mann kurz vor seiner Einreichung der Scheidung zwei private Rentenverträge auszahlen ließ, nachdem er vom diesbezüglichen Kapitalwahlrecht Gebrauch gemacht hatte, stieß seiner Ehefrau bitter auf. Daher landete die Sache auch zuerst vor dem Familiengericht (FamG) und schließlich vor dem OLG.

Das FamG prüfte, ob der Mann die Rentenverträge dem Versorgungsausgleich entzogen und dadurch die Verteilungsgerechtigkeit gestört habe. Denn wegen der zuvor vereinbarten Gütertrennung kam die Frau nicht in dem anderen Ausgleichssystem - dem Zugewinnausgleich - an ihren hälftigen Anteil. Der Mann argumentierte, die Rentenverträge seien nie Teil seiner Altersvorsorge gewesen, sondern Teil der Finanzierung seiner Augenarztpraxis. Dafür sprach auch, dass er damals die Verträge an die finanzierende Bank abgetreten hatte. Zudem hielt er der Bewertung als Altersvorsorge entgegen, dass die Fälligkeit der ersten Rentenzahlung bereits im Alter von 50 begonnen hätte, wenn er nicht die Kapitalauszahlung gewählt hätte.

Dennoch urteilte das OLG, dass die beiden Rentenversicherungsverträge bei objektiver Betrachtungsweise der Absicherung im Alter gedient hätten. Hierfür spreche die Art des Vertrags mit lebenslanger Zahlweise. Dass der Mann trotz des ausgezahlten Rentenkapitals noch berufstätig war, stand der Annahme, dass die Anwartschaft der Absicherung im Alter dienen sollte, nicht entgegen. Denn es liege nahe, dass er bei Abschluss der Verträge für möglich hielt, bereits mit 50 nicht mehr arbeiten zu wollen. Erwähnenswert war dem OLG auch der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Ausübung des Kapitalwahlrechts und der Einleitung des Scheidungsverfahrens. Unter diesen Umständen bekam der Mann von den Altersanrechten der Frau den entsprechenden Teil nicht.

Hinweis: Das Gericht konnte ein gerechtes Halbteilungsergebnis erzielen, weil auf Seiten der Frau ausreichend Altersvorsorge vorhanden war, die ihr dann ungeteilt verblieb. In Fällen, in denen das entzogene Anrecht mehr wert ist als das, was die Gegenseite abgeben müsste, führt eine solche Vorgehensweise zu wirtschaftlichem Erfolg, auch wenn sie als unbillig beurteilt wird.
 
 


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.02.2024 - 18 UF 82/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Billigkeitsprüfung: Eigener Wohlstand widerspricht nicht dem Anspruch auf Versorgungsausgleich

Der Anspruch auf Versorgungsausgleich setzt nicht voraus, dass man bedürftig ist. Davon war eine Ärztin, die ein Immobilienvermögen geerbt hatte, aus dem sie rund 16.500 EUR im Monat einnahm, und die aus dem Zugewinnausgleich bereits rund 350.000 EUR vom Ehemann bekommen hatte, auch weit entfernt. Dennoch verlangte sie Anteile der Altersversorgung von ihrem Ehemann - die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).

Der Anspruch auf Versorgungsausgleich setzt nicht voraus, dass man bedürftig ist. Davon war eine Ärztin, die ein Immobilienvermögen geerbt hatte, aus dem sie rund 16.500 EUR im Monat einnahm, und die aus dem Zugewinnausgleich bereits rund 350.000 EUR vom Ehemann bekommen hatte, auch weit entfernt. Dennoch verlangte sie Anteile der Altersversorgung von ihrem Ehemann - die Sache ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).

Das zuständige Oberlandesgericht fand, dass sie angesichts ihrer eigenen auskömmlichen Verhältnisse darauf verzichten müsse, zusätzlich auch noch Anteile der Altersversorgung ihres Ehemanns zu erhalten, der weitaus weniger Vermögen besaß als sie. Sonst bestünde im Ergebnis ein erhebliches wirtschaftliches Ungleichgewicht. Den Zugewinnausgleich, den sie bekommen habe, habe allein der Mann erarbeitet. Der Mann sei auf seine Altersvorsorge angewiesen.

Diese Wertung trug der BGH jedoch nicht mit. Zwar sind Fälle einer groben Unbilligkeit nach Gesamtabwägung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten denkbar - sie bleiben jedoch die Ausnahme. Dafür müsste nicht nur der insgesamt ausgleichsberechtigte Ehegatte über so hohes Einkommen oder Vermögen verfügen, dass seine Altersversorgung voll abgesichert ist (so wie hier). Zum anderen müsse der insgesamt ausgleichspflichtige Ehegatte auf die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen sein. Und diese zweite Voraussetzung war hier nicht erfüllt, weil der Mann nach Durchführung des Versorgungsausgleichs immer noch rund 2.000 EUR Altersrente zur Verfügung haben würde. Und dies ist mehr als ein durchschnittliches Renteneinkommen.

Hinweis: Die Abweichung vom starren Halbteilungsprinzip beim Versorgungsausgleich ist eine seltene Ausnahme.


Quelle: BGH, Beschl. v. 31.01.2024 - XII ZB 259/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

ChatGPT als Arbeitsmittel: Nutzung von KI-Software berührt nicht Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats

Bei Software im Betrieb, die das Verhalten der Mitarbeiter überwachen kann, bestimmt der Betriebsrat mit. Wie sich dies bei sogenannten Anwendungen durch Künstliche Intelligenz (KI) verhält, war eine Frage, die das Arbeitsgericht Hamburg (ArbG) zu beantworten hatte - ganz sicher nur einer der ersten von zahlreichen Fällen, über die man zu diesem Thema wird lesen können.

Bei Software im Betrieb, die das Verhalten der Mitarbeiter überwachen kann, bestimmt der Betriebsrat mit. Wie sich dies bei sogenannten Anwendungen durch Künstliche Intelligenz (KI) verhält, war eine Frage, die das Arbeitsgericht Hamburg (ArbG) zu beantworten hatte - ganz sicher nur einer der ersten von zahlreichen Fällen, über die man zu diesem Thema wird lesen können.

Ein Hersteller von Medizintechnik hatte seinen Beschäftigten die Nutzung des KI-Systems ChatGPT erlaubt. Seinen Betriebsrat hatte er zuvor jedoch nicht gefragt. Der Arbeitgeber veröffentlichte dann im Intranet eine Richtlinie sowie ein Handbuch mit Vorgaben zur Nutzung der KI. Danach sollten die interessierten Mitarbeiter zur Nutzung des Tools einen eigenen, privaten Account auf dem Server des jeweiligen Anbieters anlegen. Etwaig anfallende Kosten sollten sie selbst tragen. Der Betriebsrat verlangte daraufhin vom Arbeitgeber, die Nutzung der Systeme so lange zu untersagen, bis eine Konzernbetriebsvereinbarung zum Thema KI abgeschlossen sei. Er war der Ansicht, dass auch der geförderte, freiwillige Einsatz von ChatGPT bei der Arbeit seiner Mitbestimmung unterfiel. Er berief sich auf sein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung einer Software, die dazu geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu überwachen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)). Seiner Ansicht nach fand durch die Datenverarbeitung eine Verhaltens- und Leistungskontrolle statt. Außerdem wendete er ein, dass auch sein Mitbestimmungsrecht beim Arbeits- und Gesundheitsschutz zum Tragen käme, da psychische Belastungen durch die Maßnahmen drohen.

Das ArbG entschied, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht betroffen war. Die KI-Systeme stellen ein Arbeitsmittel dar. Sie betreffen deshalb das Arbeitsverhalten - und gerade nicht das Ordnungsverhalten. Die Entscheidung darüber, ob, wann und wie die vertraglich zugesagte Arbeit zu erledigen sei, falle somit nicht unter den Mitbestimmungstatbestand. Die nähere Bestimmung von Art und Weise der Arbeitserbringung sei allein Sache des Arbeitgebers. Er kann diese kraft seines arbeitgeberseitigen Weisungsrechts konkretisieren. Auch Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kam nicht in Betracht. Eine Nutzung von ChatGPT ist nur über den Browser möglich. Für die Nutzung des Browsers gab es jedoch bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung, und eben dieser hatte der Betriebsrat zugestimmt. Außerdem sah das Gericht keine konkreten Gefährdungen für die Gesundheit der Arbeitnehmer.

Hinweis: ChatGPT & Co. werden noch für viele Gerichtsverfahren sorgen. Denn kaum etwas ist so unsicher wie die Frage, wie sich die KI entwickeln und unser Leben beeinflussen wird.


Quelle: ArbG Hamburg, Beschl. v. 16.01.2024 - 24 BVGa 1/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

VKH für polnische Scheidung: Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz

Zwei polnische Staatsangehörige hatten in Polen geheiratet und sich schließlich getrennt. Frau und Kinder blieben in Polen, der Mann war nach Deutschland gezogen. Zehn Jahre später reichte er die Scheidung ein - in Deutschland. Dafür beantragte er Verfahrenskostenhilfe (VKH), die ihm das Familiengericht Neustadt am Rübenberge (FamG) verweigerte. Doch dann ging die Sache zum Oberlandesgericht Celle (OLG).

Zwei polnische Staatsangehörige hatten in Polen geheiratet und sich schließlich getrennt. Frau und Kinder blieben in Polen, der Mann war nach Deutschland gezogen. Zehn Jahre später reichte er die Scheidung ein - in Deutschland. Dafür beantragte er Verfahrenskostenhilfe (VKH), die ihm das Familiengericht Neustadt am Rübenberge (FamG) verweigerte. Doch dann ging die Sache zum Oberlandesgericht Celle (OLG).

Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 3 Brüssel IIb-Verordnung diese gleichrangige Auswahl zwischen internationalen Zuständigkeiten ermöglicht. Dadurch, dass der Antragsteller sich seit mehr als einem Jahr in Deutschland aufgehalten hatte, war ihm der deutsche Rechtsweg eröffnet. Das bedeutete aber nicht, dass das deutsche Gericht nach deutschem Familienrecht entscheidet: Weil beide Ehegatten die polnische Staatsangehörigkeit hatten und die Frau noch in Polen wohnte, galt das deutsche Scheidungsrecht nicht. Das FamG gewährte ihm daher dafür auch keine VKH. Er solle das Scheidungsverfahren in Polen führen. Denn auch, wenn es eine Wahlzuständigkeit für das Scheidungsverfahren in beiden Ländern gebe, sei seine Entscheidung, den Antrag in Deutschland einzureichen, mutwillig. Ein deutsches Gericht müsse sich dann mit polnischem Scheidungsrecht befassen, womit es sich nicht auskenne und deshalb ein teures Rechtsgutachten einholen müsse. Ein verständiger Beteiligter, der die anteiligen Gerichtskosten aus eigener Tasche zu zahlen hätte, würde dieses Scheidungsverfahren nicht in Deutschland führen.

Das OLG hob diese Entscheidung des FamG auf. Die mit dem ausländischen Recht verbundenen Unannehmlichkeiten für das Gericht und die eventuellen Mehrkosten durften nicht zur Ablehnung von VKH führen. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte würde das Recht auf unterschiedslose und absolute gleichwertige Gewährung von Rechtsschutz verletzen. Zudem läge darin zu Lasten von EU-Bürgern ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der auch verdeckte Ungleichbehandlungen verbietet. Ergänzend kam hinzu, dass das FamG gar nicht geprüft hatte, ob für den Antragsteller eine Rechtsverfolgung vor einem polnischen Gericht tatsächlich günstiger wäre und er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wirtschaftlich in der Lage wäre, von Deutschland aus das Verfahren in Polen zu betreiben.

Hinweis: Das FamG muss bei der Anwendung ausländischen Rechts nicht zwingend ein teures Rechtsgutachten einholen. Es gibt deutschsprachige Literatur darüber, außerdem ein europäisches Abkommen, nach dem Anfragen an ausländische Gerichte gestellt werden können.


Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 20.02.2024 - 12 WF 15/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Vaterschaft missgönnt: Mutter muss Abstammungsgutachten allein bezahlen

Der biologische Vater eines Kindes ist durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln, wenn die Mutter sogenannten "Mehrverkehr" hatte. Die Kosten müssen in so einem Fall alle Beteiligten anteilig tragen, denn Kindesmutter und potentielle Väter veranlassen das Verfahren in gleicher Weise dadurch, dass sie miteinander geschlechtlich verkehrt haben. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) lag die Sache jedoch anders.

Der biologische Vater eines Kindes ist durch ein Sachverständigengutachten zu ermitteln, wenn die Mutter sogenannten "Mehrverkehr" hatte. Die Kosten müssen in so einem Fall alle Beteiligten anteilig tragen, denn Kindesmutter und potentielle Väter veranlassen das Verfahren in gleicher Weise dadurch, dass sie miteinander geschlechtlich verkehrt haben. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) lag die Sache jedoch anders.

Hier war sich das OLG mit dem vorinstanzlichen Amtsgericht (AG) einig: Die Mutter musste sowohl das Verfahren als auch das Abstammungsgutachten alleine bezahlen. Denn hier gab es nicht mehrere Sexualkontakte innerhalb der sogenannten gesetzlichen Empfängniszeit - also keinen Mehrverkehr. Es kam vielmehr nur ein einzelner Mann als Vater infrage. Und dieser wollte sogar gern der gesetzliche Vater des Kindes sein. Selbst die Mutter bezweifelte nicht, dass er der Erzeuger war, und hätte mittels Vaterschaftsanerkennung beim Jugendamt zustimmen können, um die Verfahrenskosten zu vermeiden. Doch sie missgönnte dem Mann den Status als gesetzlicher Vater, weil er sich um das Kind ihrer Meinung nach nicht ausreichend kümmere. Sowohl AG als auch OLG beurteilten dieses Verhalten als mutwillig und reagierten mit dem Auferlegen von Kosten.

Hinweis: Die gesetzliche Empfängniszeit dauert vom 300. bis zu dem 181. Tag vor der Geburt des Kindes. Sie ist so lang, um alle außergewöhnlichen biologischen Varianten der Zeugung zu erfassen.


Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 29.02.2024 - 4 UF 1/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Grenzen des Notwehrrechts: Ausraster kostet Busfahrer auch nach 25 Beschäftigungsjahren den Arbeitsplatz

So sehr man so manche Reaktionen im Alltag anderer sogar nachvollziehen kann, blieb es auch im folgenden Fall dabei, dass Straftaten am Arbeitsplatz das Arbeitsverhältnis gefährden. Das Arbeitsgericht Göttingen (ArbG) musste hier nicht etwa die Renitenz eines alkoholisierten Fahrgasts bewerten, sondern vielmehr die entsprechende Reaktion eines Busfahrers.

So sehr man so manche Reaktionen im Alltag anderer sogar nachvollziehen kann, blieb es auch im folgenden Fall dabei, dass Straftaten am Arbeitsplatz das Arbeitsverhältnis gefährden. Das Arbeitsgericht Göttingen (ArbG) musste hier nicht etwa die Renitenz eines alkoholisierten Fahrgasts bewerten, sondern vielmehr die entsprechende Reaktion eines Busfahrers.

Der Mann war bereits 25 Jahren bei den Göttinger Verkehrsbetrieben als Busfahrer beschäftigt, als er einen Fahrgast gewaltsam von seinem Sitz gezogen und aus dem Bus geworfen hatte. Nachdem der Fahrgast auf den Boden gefallen und wieder aufgestanden war, soll der Busfahrer ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Was folgte, war zu ahnen: Der Busfahrer erhielt eine fristlose Kündigung. Doch er verteidigte sich damit, dass der Fahrgast alkoholisiert gewesen sei und eine junge Frau belästigt habe. Außerdem habe er sich geweigert, einen Fahrausweis zu zeigen, und ihn beleidigt. Trotz Aufforderung habe er den Bus nicht verlassen. Deshalb habe er ihn rausgeworfen. Nach dem Rauswurf habe sich der Fahrgast mit einer Getränkedose in der Hand drohend auf ihn zubewegt. Daraufhin habe er im Affekt eine Abwehr- bzw. Schlagbewegung vollführt.

Obwohl die Auffassungen des Busfahrers durch die Überwachungskameras im Wesentlichen bestätigt wurden, verlor er vor dem ArbG seine Klage gegen die Kündigung. Sein Verhalten stellte eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung dar. Zwar erkannte das Gericht durchaus an, dass schwierige Fahrgäste für Busfahrer eine große Belastung darstellen. Vorliegend hätte der Fahrer aber die Leitstelle oder die Polizei anrufen können und auch müssen, nachdem der Fahrgast den Bus nicht freiwillig verlassen wollte. Eine vorherige Abmahnung war hier ebenfalls nicht erforderlich. Deshalb wies das ArbG die Kündigungsschutzklage ab.

Hinweis: Der Busfahrer kann gegen das Urteil noch Berufung einlegen. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil arbeitsrechtlich korrekt ist. Die Rechtsordnung der Bundesrepublik sieht ein Notwehrrecht nur in sehr engen Grenzen vor. Wenn irgendwie möglich, sollte die Polizei verständigt werden.


Quelle: ArbG Göttingen, Urt. v. 23.01.2024 - 1 Ca 219/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Betriebsratsschulung: Arbeitgeber dürfen Kostenübernahme nicht mit Verweis auf Webinar ablehnen

Betriebsräte müssen sich weiterbilden und schulen lassen. Da die Arbeitgeber für die Kosten aufkommen müssen, stellt sich die berechtigte Frage, ob diese ihre Betriebsräte auch auf kostengünstigere Webinare verweisen dürfen. Bei einer so weitreichenden Entscheidung war fast klar, dass die Klärung erst durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) erfolgen konnte.

Betriebsräte müssen sich weiterbilden und schulen lassen. Da die Arbeitgeber für die Kosten aufkommen müssen, stellt sich die berechtigte Frage, ob diese ihre Betriebsräte auch auf kostengünstigere Webinare verweisen dürfen. Bei einer so weitreichenden Entscheidung war fast klar, dass die Klärung erst durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) erfolgen konnte.

Bei einer Luftverkehrsgesellschaft war eine Personalvertretung gebildet worden. Und eben diese wollte zwei in Düsseldorf und Köln wohnende Mitglieder zu der Präsenzschulung "Betriebsverfassungsrecht Teil 1" in Binz auf Rügen entsenden. Die Arbeitgeberin schlug aus Kostengründen jedoch ortsnähere Seminarorte oder - im gewählten Zeitraum - ein Webinar vor. Daraufhin beschloss die Personalvertretung, die beiden Mitglieder zur Schulung "Betriebsverfassungsrecht Teil 1" nach Potsdam zu entsenden, wofür zusammen ca. 1.800 EUR brutto für die Schulung und etwa weitere 1.300 EUR brutto an Übernachtungs- und Verpflegungskosten anfielen. Die Arbeitgeberin weigerte sich, die Schulungs-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu übernehmen, und begründete dies vor allem damit, dass die Mitglieder der Personalvertretung an einem zeit- und inhaltsgleich angebotenen mehrtägigen Webinar desselben Schulungsanbieters hätten teilnehmen können. Daraufhin klagte die Personalvertretung.

Seine Entscheidung begründete das BAG mit § 40 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Danach hat die Arbeitgeberin die Kosten zu tragen, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist. Ebenso wie ein Betriebsrat hat die Personalvertretung bei der Beurteilung, zu welchen Schulungen sie ihre Mitglieder entsendet, einen gewissen Spielraum. Dieser umfasst grundsätzlich auch das Schulungsformat. Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass bei einem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung der Schulungsteilnehmer regelmäßig höhere Kosten anfallen als bei einem Webinar.

Hinweis: Nach dem BetrVG haben Betriebsräte also Anspruch auf für die Betriebsratsarbeit erforderliche Schulungen. Die Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen. Davon können also Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar auch dann erfasst sein, wenn derselbe Schulungsträger ein inhaltsgleiches Webinar anbietet.


Quelle: BAG, Beschl. v. 07.02.2024 - 7 ABR 8/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Einsatz in unklarer Verkehrslage: Auch Fahrern von Einsatzfahrzeugen muss umsichtiges Verhalten abverlangt werden dürfen

Augen und Ohren auf im Straßenverkehr! Denn wenn es blinkt und heult, ist es gut möglich, dass ein Einsatzfahrzeug seine Sonderrechte wahrnehmen will. Im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging das jedoch schief, denn ein Verkehrsteilnehmer hatte die Situation offensichtlich nicht so wahrgenommen, wie es durch die Nutzung der Sondersignale intendiert war. Trifft ihn nun die alleinige Schuld an der Kollision mit dem Einsatzfahrzeug?

Augen und Ohren auf im Straßenverkehr! Denn wenn es blinkt und heult, ist es gut möglich, dass ein Einsatzfahrzeug seine Sonderrechte wahrnehmen will. Im Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging das jedoch schief, denn ein Verkehrsteilnehmer hatte die Situation offensichtlich nicht so wahrgenommen, wie es durch die Nutzung der Sondersignale intendiert war. Trifft ihn nun die alleinige Schuld an der Kollision mit dem Einsatzfahrzeug?

Ein Rettungswagen näherte sich mit Blaulicht und Martinshorn einer Kreuzung. Die Ampel zeigte für seine Fahrspur rot. Dennoch fuhr er mit unverminderter Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich ein. Dort näherte sich ein Pkw, dessen Fahrerin die Situation falsch einschätzte und bei Grün in die Kreuzung einfuhr. Es kam zur Kollision im Kreuzungsbereich. Die Klägerin forderte Schadensersatz. Der Rettungswagenfahrer entgegnete, er habe die Sondersignale geschaltet und daher seine Sonderrechte wahrgenommen. Die gegnerische Versicherung ging jedoch von einem Mitverschulden aus.

Das OLG sah den Schuldanteil beider Parteien als gleichwertig an. Zwar sei es richtig, dass Fahrzeuge mit Sondersignalen Vorrang haben und andere Verkehrsteilnehmer den Fahrweg räumen müssen. Wenn es sich jedoch um eine Kreuzungssituation handelt und das Einsatzfahrzeug Rot hat, müsse der Fahrer damit rechnen, dass Querverkehr bei Grün einfahre, weil die Situation falsch eingeschätzt wurde oder die Signale nicht wahrgenommen wurden. Ein Rettungsdienstfahrer darf eine Kreuzung bei Rot nur überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass er von den anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen wird. Ein umsichtiger Fahrer habe hier von einer unklaren Verkehrslage ausgehen und seine Fahrweise anpassen müssen. Daher sei eine Schadensteilung gerechtfertigt.

Hinweis: Nach § 35 Abs. 8 Straßenverkehrs-Ordnung kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeugs am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, desto höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen. Er darf sich immer nur mit einer Geschwindigkeit nähern, die ihm ein rechtzeitiges Anhalten ermöglicht, und nur dann die Kreuzung bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.11.2023 - 17 U 121/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)

Nachweis für Straftaten: Ohne objektive Beweise für eine von zwei geschilderten Versionen wird die Klage abgewiesen

Es ist schwer, an sein Recht zu kommen, wenn es an Beweisen fehlt, die den Anspruch eindeutig belegen. Auch wenn dies am Gerechtigkeitsempfinden nagt: Den Gerichten - wie im Folgenden dem Amtsgericht München (AG) - bleibt in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, oftmals nichts anderes übrig, als die Klage abzulehnen.

Es ist schwer, an sein Recht zu kommen, wenn es an Beweisen fehlt, die den Anspruch eindeutig belegen. Auch wenn dies am Gerechtigkeitsempfinden nagt: Den Gerichten - wie im Folgenden dem Amtsgericht München (AG) - bleibt in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, oftmals nichts anderes übrig, als die Klage abzulehnen.

Nachdem der Kläger mit seinem Auto aus einer Hofeinfahrt gefahren war, ließ er es kurz nach der Ausfahrt quer über Fußgänger- und Radweg stehen, um die händisch zu bedienende Schranke hinter dem Fahrzeug zu schließen. Zur gleichen Zeit näherte sich der Beklagte auf einem Fahrrad. Der Beklagte musste dem Auto des Klägers auf dem Radweg ausweichen und hielt an. Zwischen beiden Parteien kam es in der Folge zu einer Auseinandersetzung. Der Kläger behauptete, der Beklagte habe mit seinem Fuß gegen das Heck des Fahrzeugs des Klägers getreten und dieses hierdurch beschädigt. Überdies habe ihm der Beklagte mit der Faust gegen den Kiefer geschlagen. Der Kläger erhob Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das AG hat die Klage jedoch abgewiesen, da der Kläger den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht beweisen konnte. Das Gericht hatte beide Parteien informatorisch angehört. Beide Parteien schilderten detailreich, nachvollziehbar und flüssig den Geschehensablauf. Da sich beide Schilderungen jedoch widersprachen und logisch nicht miteinander in Einklang zu bringen waren, konnte das AG keine Feststellungen treffen, die darauf schließen ließen, dass eine Version glaubhafter war als die andere.

Hinweis: Das Gericht muss unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung, § 286 Abs. 1 Zivilprozessordnung, davon überzeugt sein, dass der vom Kläger geschilderte Sachverhalt stattgefunden hat. Bestehende Zweifel bzw. eine Unaufklärbarkeit gehen zu Lasten des Anspruchstellers. Nachdem weitere Beweismittel - wie beispielsweise Zeugen - nicht zur Verfügung standen, war die Klage abzuweisen.


Quelle: AG München, Urt. v. 29.02.2024 - 161 C 14050/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2024)