Neuigkeiten - Recht

Mitglied einer Erbengemeinschaft: Ohne erhebliche Einwendungen ist die Heranziehung zu öffentlichen Kostenbeiträgen rechtens

Grundstückseigentümer haften unter bestimmten Voraussetzungen für öffentlich-rechtliche Beiträge, beispielsweise zu straßenbaurechtlichen Maßnahmen. Welche Ermittlungen eine Kommune hierbei anstellen muss, um die Erbfolge nach einem verstorbenen Erblasser zu klären, war Gegenstand einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt an der Oder (VG).

Grundstückseigentümer haften unter bestimmten Voraussetzungen für öffentlich-rechtliche Beiträge, beispielsweise zu straßenbaurechtlichen Maßnahmen. Welche Ermittlungen eine Kommune hierbei anstellen muss, um die Erbfolge nach einem verstorbenen Erblasser zu klären, war Gegenstand einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt an der Oder (VG).

Hier stritten sich die Beteiligten um die Heranziehung eines Mitglieds einer Erbengemeinschaft zur Zahlung von Beiträgen für Straßenbaumaßnahmen. Der ursprüngliche Grundstückseigentümer war verstorben und die Erben aus dem Grundbuch nicht zu ersehen. Das VG entschied, dass die Behörde in Fällen, in denen die Person des Grundstückseigentümers deshalb nicht aus dem Grundbuch zu ersehen sei, weil der eingetragene Eigentümer zwischenzeitlich verstorben war, die von ihr zu erlassenden Beitragsbescheide an denjenigen richten kann, den sie nach sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung für den Erben halten darf. Nur wenn der Adressat dieser Beitragsbescheide seinerseits erhebliche Einwendungen gegen seine Erbenstellung vorbringt, sei es wiederum Behördenaufgabe, die von ihr angenommene Rechtsnachfolge zur Überzeugung des Gerichts zu belegen.

Im zu entscheidenden Fall gab es Anhaltspunkte dafür, dass der Adressat des Beitragsbescheids zumindest Miterbe nach dem Eigentümer geworden war, da er dies selbst in einem außergerichtlichen Schriftverkehr geäußert hatte. Es war daher nicht zu beanstanden, dass in einem Fall, in dem ein Grundstück in einer Erbengemeinschaft steht, im Zuge der Beitragsveranlagung nicht alle Mitglieder der Erbengemeinschaft zur Zahlung herangezogen werden, sich der Beitragsbescheid vielmehr nur an ein Mitglied der Erbengemeinschaft richtet.

Hinweis: Wird nur ein Mitglied der Erbengemeinschaft auf Zahlung eines Beitrags in Anspruch genommen, steht ein Ersatzanspruch gegenüber den anderen Miterben im Innenverhältnis im Raum.


Quelle: VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 02.05.2024 - 3 K 270/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Widerruf des Coachingvertrags: Bis zur tatsächlichen Unternehmensgründung hat ein Kunde die Rechte von Endverbrauchern

Wer als Unternehmer auftritt, hat weniger Rechte als ein Endverbraucher. Das sollte bei Vertragsschlüssen stets bedacht werden. Im Fall des Landgerichts Landshut (LG) hatte der Kläger Glück - denn er befand sich noch im Gründungsprozess und kam daher als Endverbraucher statt als Unternehmer zu seinem guten Recht.

Wer als Unternehmer auftritt, hat weniger Rechte als ein Endverbraucher. Das sollte bei Vertragsschlüssen stets bedacht werden. Im Fall des Landgerichts Landshut (LG) hatte der Kläger Glück - denn er befand sich noch im Gründungsprozess und kam daher als Endverbraucher statt als Unternehmer zu seinem guten Recht.

Ein Mann wollte sich selbständig machen und war durch Werbung auf YouTube und Instagram auf einen Coachinganbieter aufmerksam geworden. Dieser warb damit, dass sich mit seinem Coaching binnen kürzester Zeit und ohne Vorkenntnisse ein garantiertes signifikantes passives Einkommen erwirtschaften ließe, und gab dafür eine "110 % Erfolgsgarantie". Der Kunde buchte nach einer telefonischen Beratung das Produkt "Digital Reselling - Einkommen auf Autopilot". Im Rahmen des Vertragsschlusses wurde ein Onlineverkaufsformular ausgefüllt. Während des Telefongesprächs wurde auf dem Onlineformular ein Haken bei einer Checkbox gesetzt, die folgenden Wortlaut aufwies: "Hiermit stimme ich zu, dass ... mit der Ausführung des Vertrages vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich mit dieser Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrages mein Widerrufsrecht verliere." Im Anschluss daran erhielt der Kunde eine Rechnung über 5.735 EUR brutto und eine gestaffelte Ratenzahlung, auf die er 1.927 EUR zahlte. Dann erklärte er jedoch den Rücktritt vom Vertrag und klagte auf Rückzahlung seines Geldes.

Das LG hat der Klage stattgegeben und zudem festgestellt, dass kein Anspruch auf Zahlung von weiteren 3.808 EUR aus dem Vertrag bestand. Zwischen den Parteien war ein Fernabsatzvertrag zustande gekommen. Bei dem Kunden handelte es sich - noch! - nicht um einen Unternehmer, sondern um einen Verbraucher. Er hatte sich noch nicht zur Aufnahme eines Unternehmens entschlossen, sondern diese Entscheidung allenfalls vorbereitet. Deshalb hatte der Kunde wirksam den Fernabsatzvertrag widerrufen. Die Widerrufsfrist hatte auch noch nicht zu laufen begonnen, da er nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden war.

Hinweis: Endkunden sollten daran denken, dass die Möglichkeit des Widerrufs für Geschäfte im Internet eine Besonderheit ist und nicht bei Käufen vor Ort gilt. Beim Kauf im Geschäft gibt es keine Möglichkeit des Widerrufs oder der Rückgabe der gekauften Gegenstände, es sei denn, der Verkäufer sichert ein solches Recht zu.


Quelle: LG Landshut, Urt. v. 10.05.2024 - 54 O 305/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2024)

BGH konkretisiert Anforderungen: Prüfung auf nicht zu rechtfertigende Härte bei Suizidgefahr nach Wohnungskündigung

Es ist als Härtefallgrund anerkannt, dass eine Räumung nach einer Kündigung des Mietverhältnisses zu unterbleiben hat, wenn der Mieter mit Suizid droht. Wie diese Gefahr künftig seriös zu prüfen und bewerten ist, hat kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) anhand eines aktuellen Falls konkretisiert.

Es ist als Härtefallgrund anerkannt, dass eine Räumung nach einer Kündigung des Mietverhältnisses zu unterbleiben hat, wenn der Mieter mit Suizid droht. Wie diese Gefahr künftig seriös zu prüfen und bewerten ist, hat kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) anhand eines aktuellen Falls konkretisiert.

Ein Mann wohnt seit 1988 mit seiner Lebensgefährtin in einer im Dachgeschoss gelegenen Zweizimmerwohnung. Der Vermieter hatte nun die ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarfs erklärt, der die Mieter widersprachen. Ihren Widerspruch begründeten sie damit, dass die Kündigung für sie eine besondere Härte darstelle, da ein Umzug aufgrund ihrer gesundheitlichen sowie finanziellen Situation "schlicht unmöglich" sei. Schließlich verlangte der Vermieter die Räumung. Das zuständige Landgericht (LG) holte daraufhin ein schriftliches psychiatrisches Gutachten ein und hörte im Anschluss den Sachverständigen an, bevor es der Räumungsklage stattgab. Dagegen legten die Mieter Revision ein.

Der BGH hat das Berufungsurteil hinsichtlich der Härteregelung aufgehoben und die Angelegenheit zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dazu gab er folgende Hinweise: Werden von dem Mieter ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren substantiiert geltend gemacht, haben sich die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild zu verschaffen. Zwar hatte das LG die Suizidankündigung beider Mieter als ernsthaft bewertet und erkannt, dass diese bereits einen konkreten Plan entwickelt und Vorbereitungen in Form einer Ansammlung von Medikamenten getroffen hätten. Rechtsfehlerhaft hat es aber der hieraus resultierenden Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Mieter allein deshalb keine Bedeutung bei der Prüfung des Vorliegens einer Härte beigemessen, weil der diesbezügliche Wille von den Beklagten frei gebildet worden sei und sich als im Rahmen ihrer freien Willensbildung gewählte Reaktionsstrategie auf den möglichen Verlust ihrer Wohnung darstellte. Eine solche Sichtweise wird jedoch dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht in der erforderlichen Weise gerecht. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsproblemen oder Lebensgefahr sind die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und den hieraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das muss vom LG nun entsprechend nachgeholt werden.

Hinweis: Es dürfte also künftig vermehrt zur Einholung von Sachverständigengutachten kommen, wenn tatsächlich ein Suizid vom Mieter angedroht wird. Das dürfte die Räumungsverfahren zu Lasten der Vermieter weiter in die Länge ziehen.


Quelle: BGH, Urt. v. 10.04.2024 - VIII ZR 114/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Störung des Hausfriedens: Auf das Überschütten des Vermieters mit Wasser folgt die fristlose Kündigung

Halten Sie an sich, wenn Sie Wut auf Ihren Vermieter verspüren. Denn der Wohnungsmarkt gibt kaum Ausweichmöglichkeiten, wenn auf einen tätlichen Wutausbruch die fristlose Kündigung folgt. Wer sich mit Rechtsmitteln wehrt, dem kann hingegen geholfen werden - und zwar, bevor es zu spät ist, wie in diesem Fall, der vor dem Amtsgericht Hanau (AG) landete.

Halten Sie an sich, wenn Sie Wut auf Ihren Vermieter verspüren. Denn der Wohnungsmarkt gibt kaum Ausweichmöglichkeiten, wenn auf einen tätlichen Wutausbruch die fristlose Kündigung folgt. Wer sich mit Rechtsmitteln wehrt, dem kann hingegen geholfen werden - und zwar, bevor es zu spät ist, wie in diesem Fall, der vor dem Amtsgericht Hanau (AG) landete.

Eine Mieterin ärgerte sich über ihre Vermieterin, weil diese das Fahrrad im Hof umgestellt hatte. Nun bestätigte ein Zeuge, dass die Mieterin zweimal einen Eimer Wasser aus dem Fenster in den Hof gegossen habe, als sich die Vermieterin dort befand. Infolgedessen sei die Frau zweimal "klitschnass" geworden wie bei der "Ice-Bucket-Challenge". Die Mieterin behauptete hingegen, keine direkte Absicht gehabt zu haben, die Vermieterin zu treffen. Gleichwohl wollte sie die Vermieterin davon abhalten, ihr Fahrrad umzustellen. Die Vermieterin erklärte jedoch die Kündigung und erhob eine Räumungsklage.

Das AG hat der Klage nun auch stattgegeben. Das Verhalten der Mieterin rechtfertigte eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens. Eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses war für die Vermieterin daher unzumutbar. Bereits ein einzelner Wasserguss war dazu geeignet, aufgrund seiner Nachhaltigkeit und Schwere einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. In einem solchen Fall war eine vorige Abmahnung nicht erforderlich.

Hinweis: Jegliche Tätlichkeiten von einem Mieter gegen den Vermieter führen in aller Regel zu einem fristlosen Kündigungsrecht des Vermieters für das Mietverhältnis. Das sollten sich Mieter klarmachen.


Quelle: AG Hanau, Beschl. v. 19.02.2024 - 34 C 92/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Feuchte Wohnung: Nicht erst Schimmel berechtigt zur Mietkürzung

Ist die Mietwohnung feucht, ist dies einer der häufigsten Mietminderungsgründe. Auch im folgenden Mietrechtsfall des Landgerichts Paderborn (LG) war Feuchte in Wohn- und Kellerräumen Gegenstand der Frage, in welcher Höhe eine mieterseitige Kürzung des Mietzinses berechtigt sein könne.

Ist die Mietwohnung feucht, ist dies einer der häufigsten Mietminderungsgründe. Auch im folgenden Mietrechtsfall des Landgerichts Paderborn (LG) war Feuchte in Wohn- und Kellerräumen Gegenstand der Frage, in welcher Höhe eine mieterseitige Kürzung des Mietzinses berechtigt sein könne.

Eine Frau war seit 2019 Mieterin einer Altbauwohnung im Erdgeschoss eines Hauses, das ca. 1926 errichtet wurde. Sowohl der Keller des Hauses als auch der zur Wohnung gehörende Kellerraum waren feucht. Ebenfalls bestand Feuchtigkeit in Teilen der Wände der Mietwohnung. Die Feuchtigkeit hatte dort bereits auch zu sichtbaren Salzausblühungen und zerbröselndem Putz geführt. Die Mieterin hielt die Feuchtigkeit in der Wohnung und im Keller für einen Mietmangel, der sie zur Mietminderung von 50 % berechtige. Der Vermieter habe trotz unverzüglicher Anzeige keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um die Feuchtigkeit im Mauerwerk und die zugrundeliegende Ursache zu beheben. Der Vermieter meinte dagegen, ein Mangel der Mietsache liege nicht vor. In der Wohnung bestehe kein Schimmel. Das Haus entspreche dem Baustandard von 1924. Zudem sei eine Beseitigung der Ursache unverhältnismäßig. Schließlich klagte die Mieterin.

Der Mieterin stand laut LG sowohl ein Anspruch auf Beseitigung der Mängel in den betroffenen Wänden in Schlafzimmer, Flur und Wohnzimmer als auch ein Minderungsrecht von 20 % zu. Das galt allerdings beides nicht für die im Kellerraum bestehende Feuchtigkeit in den Wänden. Durch die Durchfeuchtung der Wände war die Tauglichkeit der Mietsache gemindert. Massive Durchfeuchtungen von Innen- und Außenwänden von Mietwohnungen haben erhebliche nachteilige Auswirkungen auf Wohnkomfort, Gesundheit und den optischen Eindruck. Massive Durchfeuchtungen der Innen- und Außenwände müssten deshalb weder in Wohnungs- noch in Teileigentumseinheiten hingenommen werden - und zwar auch dann nicht, wenn gesundheitsschädlicher Schimmel (noch) nicht aufgetreten ist.

Hinweis: Mietschäden sollten vom Vermieter ausreichend und beweissicher dokumentiert werden. Der Nachweis des Schadens muss im Zweifel auch nach mehreren Monaten und Jahren noch möglich sein.


Quelle: LG Paderborn, Urt. v. 06.03.2024 - 1 S 72/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Beweis des ersten Anscheins: Erfahrungswerte gehen grundsätzlich vom Alleinverschulden des Auffahrenden aus

"Es kommt darauf an" ist eine Art erstes Gebot in der juristischen Bewertung von Sachverhalten. Dagegen spricht der sogenannte Anscheinsbeweis, der sich auf Erfahrungswerte aus ähnlich gelagerten Fällen speist. Wer sich auf den erstgenannten Grundsatz stützen will, braucht stichhaltige Beweise, an denen es dem Beklagten eines Auffahrunfalls fehlte, der vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) stand.

"Es kommt darauf an" ist eine Art erstes Gebot in der juristischen Bewertung von Sachverhalten. Dagegen spricht der sogenannte Anscheinsbeweis, der sich auf Erfahrungswerte aus ähnlich gelagerten Fällen speist. Wer sich auf den erstgenannten Grundsatz stützen will, braucht stichhaltige Beweise, an denen es dem Beklagten eines Auffahrunfalls fehlte, der vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) stand.

Die Tochter der Klägerin befuhr innerorts eine Straße. An einer Kreuzung musste sie als erstes Fahrzeug an der Ampelanlage anhalten. Diese zeigte sowohl für den Geradeausverkehr als auch für Rechtsabbieger Rot. Nachdem die Tochter der Klägerin wieder angefahren war, bremste sie nach Überfahren der Haltelinie vollständig ab - warum, blieb unklar. Klar allerdings war, dass der hinter ihr fahrende Beklagte auf ihr Fahrzeug auffuhr.

Das OLG nahm eine Haftungsverteilung von 80 zu 20 zugunsten der Klägerin an. Gegen den Beklagten spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er den Unfall allein verschuldet habe. Von einem atypischen Geschehensablauf könne nicht ausgegangen werden. Um den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden zu erschüttern, genüge es nicht, dass der Voranfahrende in der Anfangsphase grundlos abbremst. Voraussetzung ist vielmehr, dass ein "starkes Abbremsen" nachgewiesen werde, das über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinausgeht. Und eben dies konnte im hiesigen Fall nicht festgestellt werden. Hierbei berücksichtigte der Senat auch, dass das Klägerfahrzeug gerade erst angefahren war und somit ein starkes Abbremsen gar nicht möglich gewesen wäre. Dessen Halterin muss sich allerdings eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr von 20 % anrechnen lassen.

Hinweis: Nach starkem Abbremsen ohne zwingenden Grund kann trotz grünem Ampellicht eine alleinige Haftung des Abbremsenden in Betracht kommen. Ein starkes Abbremsen ohne zwingenden Grund muss der Auffahrende allerdings beweisen können, da im gleichgerichteten Verkehr grundsätzlich von einem Alleinverschulden des Auffahrenden aufgrund des gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweises auszugehen ist.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 19.03.2024 - 7 U 82/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Wissenschaftliche Empfehlung: Gericht setzt THC-Grenzwert beim Führen eines Kfz auf 3,5 ng/ml THC fest

Da ist er - unser erster Fall in Sachen THC-Grenzwert. Dabei war es am Amtsgericht Dortmund (AG), eine Entscheidung zu treffen, ob der bisherige Grenzwert von einer neuen Zahl abgelöst wird - und wenn ja, von welcher und von wem festgelegt. Wie dem Hinweistext zu entnehmen, wird es hierzu nicht nur juristische Meinungsverschiedenheiten, sondern auch Diskussionen um prinzipielle Grundhaltungen und Umsetzungsformen geben.

Da ist er - unser erster Fall in Sachen THC-Grenzwert. Dabei war es am Amtsgericht Dortmund (AG), eine Entscheidung zu treffen, ob der bisherige Grenzwert von einer neuen Zahl abgelöst wird - und wenn ja, von welcher und von wem festgelegt. Wie dem Hinweistext zu entnehmen, wird es hierzu nicht nur juristische Meinungsverschiedenheiten, sondern auch Diskussionen um prinzipielle Grundhaltungen und Umsetzungsformen geben.

Der Sachverhalt ist kurz und knapp dargelegt: Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, vor dem 01.04.2024 einen Pkw geführt zu haben, obwohl er unter der Wirkung berauschender Mittel gestanden habe. Eine Blutprobe hatte ihm eine THC-Konzentration von 3,1 ng/ml nachgewiesen.

Das AG hat den Betroffenen freigesprochen. Der bisherige Grenzwert habe zwar bei 1,0 ng/ml gelegen - dieser gelte seit dem 01.04.2024 mit Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes aber nicht mehr. In der Anlage zu § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) werde lediglich das Wirkungsverbot von THC genannt, nicht aber ein im Straßenverkehr maßgeblicher Grenzwert. Dieser sei in der Vergangenheit von der Rechtsprechung anhand rechtsmedizinischer Vorschläge festgesetzt worden.

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nunmehr den Grenzwert 3,5 ng/ml vorgeschlagen habe. Dazu hieß es in der Pressemitteilung des Ministeriums: "Die wissenschaftlichen Experten geben folgende Empfehlung ab: Im Rahmen des § 24a StVG wird ein gesetzlicher Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC-Blutserum vorgeschlagen. Bei Erreichen dieses Grenzwertes ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko liegt." Das AG sieht in dieser Form der Stellungnahme ein antizipiertes Sachverständigengutachten. Es seien auch keine weiteren Schritte für die Umsetzung des Grenzwerts in die verkehrsrechtliche Praxis vorgesehen.

Hinweis: Für die Praxis ist diese Entscheidung wesentlich, da die darin enthaltene Argumentation auf alle noch offenen Cannabisordnungswidrigkeitsverfahren anwendbar sein dürfte. Anders als das AG hat aber das - Überraschung - Bayerische Oberste Landesgericht in einem Beschluss vom 02.05.2024 (202 ObOWi 374/24) entschieden. Der Senat vertrat die Auffassung, dass nach derzeit unverändert gültiger Rechtslage keine Veranlassung bestehe, von dem sogenannten analytischen Nachweisgrenzwert für THC bzw. Cannabisprodukte von 1 ng/ml THC im Blutserum abzuweichen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 11.04.2024 - 729 OWi-251 Js 287/24 - 27/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Erbeinsetzung oder Vermächtnis: Entscheidung erst durch notwendige Feststellung zu Wertverhältnissen möglich

Ein Vermächtnis ist eine Vermögenszuwendung an eine Person, ohne dass diese als Erbe eingesetzt wird. Vermacht man sein Vermögen oder einen Bruchteil dessen einem Bedachten, ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen. Stehen dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zu, ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass dieser als Erbe eingesetzt werden sollte. Unterscheidungskriterium ist der Wert des Gegenstands, wie auch das Oberlandesgericht München (OLG) hier nochmals klarstellen musste.

Ein Vermächtnis ist eine Vermögenszuwendung an eine Person, ohne dass diese als Erbe eingesetzt wird. Vermacht man sein Vermögen oder einen Bruchteil dessen einem Bedachten, ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen. Stehen dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zu, ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass dieser als Erbe eingesetzt werden sollte. Unterscheidungskriterium ist der Wert des Gegenstands, wie auch das Oberlandesgericht München (OLG) hier nochmals klarstellen musste.

Die Erblasserin war im Jahr 2022 verstorben und hinterließ zwei Adoptivkinder, nachdem der Ehemann bereits vorverstorben war. Die Eheleute hatten im Jahr 1963 einen notariellen Ehe- und Erbvertrag sowie im Jahr 1997 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Zudem hatte die Erblasserin im Jahr 2007 sowie im Jahr 2016 zwei weitere Testamente errichtet. Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute enthielt im Wesentlichen eine sogenannte Pflichtteilsstrafklausel. Ein Adoptivkind der Erblasserin war der Ansicht, dass ihm ein Erbschein zu erteilen sei, der es als Alleinerbe ausweist. In dem Ehe- und Erbvertrag sei ihm allein der wesentliche Vermögensgegenstand zugewandt worden. Auch das Nachlassgericht beabsichtigte, sich dieser Ansicht anzuschließen, kündigte einen entsprechenden Erbschein an und setzte die sofortige Wirksamkeit zunächst aus.

Die Beschwerde des weiteren Adoptivkinds wurde umfangreich begründet, wobei das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abhalf und die Angelegenheit dem OLG zur Entscheidung vorgelegt hat. Dieses hat die Angelegenheit jedoch an das Nachlassgericht zurückverwiesen, da es der Ansicht war, das Nachlassgericht habe sich entgegen dem Zweck des Abhilfeverfahrens nicht mit der Beschwerdebegründung auseinandergesetzt. Für das weitere Verfahren hat der Senat darauf hingewiesen, dass das Nachlassgericht für die Annahme, dass es sich um eine Erbeinsetzung gehandelt hat, Wertfeststellungen zum Erblasservermögen zum Zeitpunkt der Errichtung des Vertrags treffen muss. Anderenfalls könne nicht beurteilt werden, ob die Zuwendung eines Einzelgegenstands eine Erbeinsetzung oder die Anordnung eines Vermächtnisses sei. Des Weiteren hat das OLG darauf hingewiesen, dass eine auch schon seit vielen Jahren bestehende Rechtsprechung zu beachten sei, laut der auch die Errichtung einer sogenannten Pflichtteilsstrafklausel eine Erbeinsetzung darstellen kann. Dies müsse das Nachlassgericht jedenfalls für den Fall in Erwägung ziehen, dass der Ehe- und Erbvertrag nicht bereits eine Erbeinsetzung beinhaltet hat.

Hinweis: Pflichtteilsstrafklauseln sollen verhindern, dass nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Längstlebenden geltend gemacht werden. Macht der Abkömmling diese Ansprüche trotzdem geltend, soll er von der Schlusserbfolge ausgeschlossen sein.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 29.02.2024 - 33 Wx 309/23 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)

Grenzen der Dispositionsmaxime: Verstoßen beide Parteien gegen das Schwarzarbeitsgesetz, sind alle wechselseitigen Ansprüche nichtig

Was passiert, wenn objektiv Schwarzarbeit vorliegt, dies aber von beiden Seiten bestritten wird, zeigt dieser Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) auf. Liegen nämlich klare Beweise für eine solche illegale Absprache der Vertragsparteien vor, wird in der Folge ein zivilrechtlicher Grundsatz außer Kraft gesetzt. Um was es sich bei diesem Grundsatz - der "Dispositionsmaxime des Zivilrechts" - handelt, lesen Sie hier.

Was passiert, wenn objektiv Schwarzarbeit vorliegt, dies aber von beiden Seiten bestritten wird, zeigt dieser Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) auf. Liegen nämlich klare Beweise für eine solche illegale Absprache der Vertragsparteien vor, wird in der Folge ein zivilrechtlicher Grundsatz außer Kraft gesetzt. Um was es sich bei diesem Grundsatz - der "Dispositionsmaxime des Zivilrechts" - handelt, lesen Sie hier.

Ein Mann besaß einen Landschaftsbaubetrieb. Nun sollten umfangreiche Arbeiten an einem Garten durchgeführt werden. Er traf sich an seinem Grundstück mit einem Landschaftsbauer. Dieser erstellte einen Kostenvoranschlag über 16.645 EUR, der keine Mehrwertsteuer auswies, und übermittelte diesen per E-Mail dem Kunden. Der erklärte sich per WhatsApp damit einverstanden. Die Arbeiten wurden aufgenommen, dann aber wegen winterlicher Witterung unterbrochen. Letztendlich wurden die Arbeiten nicht fertiggestellt, und die Zusammenarbeit der Parteien wurde beendet. Der Landschaftsbauer erteilte dann eine Schlussrechnung über 21.843 EUR inkl. Umsatzsteuer. Die Rechnung wurde allerdings nicht ausgeglichen, woraufhin auch geklagt wurde. Der Kunde verlangte dann widerklagend die Rückzahlung angeblich geleisteter Barzahlungen von über 10.000 EUR.

Das OLG wies sowohl Klage als auch Widerklage ab. Nach Ergebnis der Beweisaufnahme lag für das Gericht eine sogenannte "Ohne-Rechnung-Abrede" vor, die die Nichtigkeit des gesamten Vertrags zur Folge hat (§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG)). Es bestanden somit keinerlei wechselseitige Ansprüche der Parteien.

Die sogenannte Dispositionsmaxime des Zivilrechts besagt als bedeutendster Verfahrensgrundsatz zwar, dass ein als zivilrechtlicher Rechtsstreit vor Gericht ausgetragenes Verfahren grundsätzlich durch die Parteien beherrscht wird. Doch in Fällen wie diesen, in denen die Parteien gemeinsam vorsätzlich gegen das Verbot des § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG verstoßen, stößt diese Dispositionsmaxime an ihre Grenze. Sonst könnten die Folgen dieses Verstoßes schließlich durch übereinstimmenden wahrheitswidrigen Parteivortrag umgangen werden. Ist ein Zivilgericht also von den Tatsachen überzeugt, die einen Verstoß gegen das genannte Verbot begründen, ist es den Parteien nachträglich nicht möglich, die Folgen des Gesetzes mit Hilfe zivilprozessualer Vorschriften zu umgehen.

Hinweis: Das OLG hat die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass der BGH anders entscheiden wird.


Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 06.03.2024 - 12 U 127/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2024)

Vermieter widerspricht Kündigung: Nutzungsentschädigung für Weiterbenutzung der Mietsache nur bei Rücknahmewillen

Auch wenn man meint, dass meist die Vermieter ihre Mieter loswerden wollen und sich Letztere dagegen gerichtlich wehren, gibt es durchaus Fälle, in denen es umgekehrt ist. Im folgenden Fall des Landgerichts Hanau (LG) akzeptierte der Vermieter eine mieterseitige Kündigung nicht und musste am Ende einsehen, dass dies wirtschaftlich die falsche Entscheidung war.

Auch wenn man meint, dass meist die Vermieter ihre Mieter loswerden wollen und sich Letztere dagegen gerichtlich wehren, gibt es durchaus Fälle, in denen es umgekehrt ist. Im folgenden Fall des Landgerichts Hanau (LG) akzeptierte der Vermieter eine mieterseitige Kündigung nicht und musste am Ende einsehen, dass dies wirtschaftlich die falsche Entscheidung war.

Ein Mieter hatte seine Mietwohnung zum Ende August 2017 gekündigt. Der Vermieter widersprach der Kündigung unter Hinweis auf eine Klausel zum Kündigungsausschluss im Mietvertrag. Darüber kam es zu einem gerichtlichen Rechtsstreit. Der Mieter war bereits bei Vertragsende ausgezogen, hatte jedoch zeitweise noch einige Möbel in der Wohnung stehengelassen. Aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens zahlte er die vertragliche Miete unter Vorbehalt weiter. Die Gerichte hatten dann in einem Vorprozess dem Mieter Recht gegeben und die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt. Nun forderte der Mieter seine unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen zurück. Der Vermieter meinte hingegen, ihm stehe bis zur Rückgabe der Wohnung Nutzungsentschädigung in Höhe der vertraglich vereinbarten Miete zu.

Das sah das LG anders und hat dem Vermieter lediglich für die Unterstellung der Möbel einen Betrag von monatlich 120 EUR zuerkannt. Die Richter meinten, dass einem Vermieter gegen den Mieter für die Zeit, in der dieser ihm die Wohnung nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt, nur dann ein Anspruch auf die gesetzlich angeordnete Nutzungsentschädigung zusteht, wenn er auch einen Rücknahmewillen hat. Hier aber hatte er sogar der Kündigung widersprochen, so dass er keine Nutzungsausfallentschädigung verlangen konnte.

Hinweis: Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Alles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist. Vermieter sollten sich nach einer Kündigung durch den Mieter beraten lassen, wie sie darauf reagieren sollten. Der Widerspruch - auch gegen eine vielleicht rechtswidrige Kündigung - ist nicht immer die finanziell beste Entscheidung.


Quelle: LG Hanau, Urt. v. 22.11.2023 - 2 S 35/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2024)